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Presseartikel Liederabend 5. Oktober 2016

Empfindung voller Tiefe

Im jüngsten Kammerkonzert des Richard-Wagner-Verbands Mannheim-Kurpfalz hat es ein Standardwerk zu hören gegeben, aber es erklang in ungewohntem Gewand: Franz Schuberts "Winterreise", gesungen von einem Tenor, begleitet von einem historischen Hammerflügel. Über die Künstler Sebastian Hübner und Kristian Nyquist war im Programmheft ein wichtiger Satz zu lesen: "... bildet das Wissen der beiden Künstler um die vokale wie auch allgemeine Aufführungspraxis der Schubertzeit den Kern des gemeinsamen Interpretationsansatzes".

Es war dies ein ganz und gar ungewöhnlicher Liederabend. Der renommierte Konzertsänger Sebastian Hübner schlüpfte sozusagen schon beim ersten Lied "Fremd bin ich eingezogen" mit Haut und Haaren in die Gestalt des hoffnungslos liebenden, todgeweihten Wanderers. Mit perfekter Artikulation und erschütternder Empfindungstiefe und Ausdrucksintensität durchmaß er die emotionalen Gipfel und Abgründe der 24 "schaurigen" Lieder.

Hübner bannte seine Zuhörer im gut besuchten Stamitzsaal des Mannheimer Rosengartens unter einen großen Spannungsbogen, so dass sogar in den Pausen zwischen den Liedern kaum ein Flüstern oder Räuspern vonseiten des Publikums zu vernehmen war. Selbst als dem Sänger beim Lied Nr. 14 "Der greise Kopf" ein falscher Strophenanfang unterlief, war er - geistesgegenwärtig - schon in der zweiten Zeile wieder in der Spur. Ergreifender Höhepunkt der eindringliche "Wegweiser" zu jener Straße, "die noch keiner ging zurück".

Beglückend die interpretatorische Übereinstimmung mit dem fabelhaften Kristian Nyquist, der auf dem Nachbau des Wiener Originalflügels von 1814 die Wege und Pfade getreulich mitging. Das punktierte "Posthorn"-Motiv, der triolische Flügelschlag der "Krähe", die leeren Quinten des "Leiermanns" - selten trifft die Musik so unverfälscht ins Innere der Seele.

Die Zuhörer dankten den Künstlern nach langem, ergrifffenem Schweigen mit anhaltendem Applaus.

(Waltraud Brunst / Mannheimer Morgen, 08.10.2016)

 

 

  Kristian Nyquist (Hammerflügel) und Prof. Sebastian Hübner (Tenor) vor dem Nachbau des

  Wiener Originalflügels von 1814.

  Bild: Alexander Wischniewski

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